»Ein Kleid aus Zetteln«: h_da-Studierende würdigen den Literaten Arno Schmidt mit Litfaßsäulen-Aktionen
Bereits im Jahr 1955 stand vor dem Haus in der Darmstädter Inselstraße 42 eine Litfaßsäule. Sie inspirierte den Nachkriegsliteraten Arno Schmidt zu seiner Erzählung Tina oder über die Unsterblichkeit. Zum hundertsten Geburtstag Arno Schmidts bespielen Studierende aus dem Fachbereich Gestaltung der Hochschule Darmstadt eine Jahr lang die Litfaßsäule mit Kunstaktionen. Die nächste Aktion startet am Mittwoch, 26. März, um 17 Uhr.
Drei Jahre lang lebte Arno Schmidt in Darmstadt, in diesem Jahr wäre er hundert Jahre alt geworden. Ihm zu Ehren und im Auftrag der Arno Schmidt-Stiftung haben sich die Studierenden unter der Leitung von Prof. Sabine Zimmermann und Su Korbjuhn der Litfaßsäule angenommen. Sein ungewöhnliches literarisches Werk soll hier auf ungewöhnliche Weise präsentiert werden. Ein Kleid aus Zetteln macht den Anfang.
Darauf zu sehen: Zitate aus Schmidts Tina oder über die Unsterblichkeit. 200 Textstellen und die Namen der von ihm darin erwähnten Autoren haben die Studierenden für ihr Projekt ausgewählt, in Schreibmaschinen-Typographie auf Zettel gedruckt und rundum auf die Säule geklebt. In acht Reihen und Kapiteln kann sich der Betrachter auf diese Weise durch Schmidts Erzählung lesen. Er trifft auf Kiosk-Besitzerin Tina, die in der Inselstraße wohnt und den Eingang in die Unterwelt hütet. Die Litfaßsäule ist der Fahrstuhl ins Elysium, dem Ort der untoten Dichter, die Vorhölle für Schriftsteller, die dort so lange ausharren müssen, bis ihr Name endlich vergessen ist und nicht mehr zitiert wird. Rache für die Welt der Ruhmsüchtigen.
Felix Dölker und Florian Schunck gefällt Schmidts ironisch, satirische Erzählung, die viele als seine schönste rühmen. Die beiden Studenten haben das Zettelkleid der Säule gemeinsam mit insgesamt neun Studierenden konzipiert. Begleitet wird das Projekt von dem Typographen Friedrich Forssman von der Arno Schmidt-Stiftung. »Uns ist wichtig, dass es keine historische Aufarbeitung, keine Rückschau sein soll. Wir wollen vielmehr Arno Schmidts Werk ins Hier und Jetzt übersetzen«, sagen Su Korbjuhn und Professorin Sabine Zimmermann. Deshalb gab es zur Premiere Ende Januar auch Linsensuppe, Bier und eine Art Wohnzimmeratmosphäre vor dem Haus in der Inselstraße 42. Wie schon in Tina oder über die Unsterblichkeit, da aß der Protagonist ebenfalls Linsensuppe und ihn quälten fortan die Folgen der Hülsenfrüchte. »Etwas in der Art«, lacht Su Korbjuhn, ist auch zur Eröffnung der zweiten Kunstaktion am 26. März geplant. Dann werden die Studierenden ihre Comics präsentieren, zu denen Arno Schmidts Erzählung sie inspiriert hat.
Fünf bis sechs weitere Bespielungen der Säule sind geplant, darunter auch eine Ausstellung mit Fotos sowie diverse Lesungen. Hundert Anwohnern, Arno Schmidt-Liebhabern, Kennern oder auch Sammlern wollen sie Tina oder über die Unsterblichkeit in die Hand drücken und sie daraus vorlesen lassen. Im Herbst werden auch Jan Philipp Reemtsma, Bernd Rauschenbach und Joachim Kersten von der Arno Schmidt-Stiftung zu einer Autorenlesung kommen. »Und es werden noch Aktionen folgen, die wir gerade erst entwickeln und wo wir noch gar nicht wissen, wie sie am Ende aussehen werden«, kündigt Sabine Zimmermann an. Sie, ihre Kollegin und die Studierenden wollen »eine zeitgenössische Sicht auf Arno Schmidt« anbieten.
Der so gelobte Hundertjährige übrigens fand Darmstadt gar nicht toll. Nach drei Jahren, 1958, ergriff Arno Schmidt die Flucht. Die Stadt war ihm zu laut, das gesellige Künstlerleben zu anstrengend, das Geld knapp. Er und seine Frau siedelten über in ein Haus in der Lüneburger Heide. Geblieben sind eine Gedenktafel am Haus in der Inselstraße 42, seine Werke, in denen manche Darmstadt wiederzuerkennen glauben – und eben die Litfaßsäule.
Nächster Termin
Die Comics der Studierenden zu Tina oder über die Unsterblichkeit sind zu sehen am Mittwoch, 26. März, ab 17 Uhr, auf der Litfaßsäule in der Inselstraße 42, 64287 Darmstadt (nahe Ecke Heinrichstraße).
Text: Simon Colin, Hochschulkommunikation –
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